01.24.2023

Luftverschmutzung: Halten Elektrofahrzeuge, was sie versprechen?

Ab 2035 sollen in der EU nur noch emissionsfreie Fahrzeuge zugelassen werden.  Aber auch wenn die elektrische Zukunft des Automobils hohe Erwartungen mit sich bringt, wird sie das Problem der Luftverschmutzung nicht einfach von Zauberhand lösen. Zwischen Vorzügen und erstrebenswerten Verbesserungsmaßnahmen: ein Blick auf die technologische Revolution der Gegenwart.

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Im Jahr 2021 machten Elektroautos 10 % der weltweit verkauften Pkw aus – viermal so viel wie noch im Jahr 2019. Dieser spektakuläre Zuwachs dürfte sich weiter vervielfachen, zumal als Antwort auf die globale Erwärmung innerhalb der Europäischen Union ab 2035 keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr verkauft werden sollen. „Trotz aller Vorteile dürfen wir die Elektrifizierung nicht als universelle und endgültige Antwort betrachten, denn Elektrofahrzeuge sind keinesfalls CO2-neutral“, erinnert Bertrand-Olivier Ducreux, Ingenieur in der Abteilung Transport und Mobilität bei ADEME, der französischen Behörde für Umwelt und Energie. Da für die Batterieproduktion zahlreiche fossile Energieträger und Metalle, darunter Lithium, benötigt werden, fällt die CO2-Bilanz für die Herstellung eines Elektrofahrzeugs tatsächlich höher aus als die eines klassischen Benziners oder Diesels. „Die Produktion eines E-Fahrzeugs hinterlässt einen zwei- bis dreimal größeren CO2-Fußabdruck als die Herstellung eines Autos mit Verbrennungsmotor. Je größer die Batteriekapazität, umso höher ist auch die CO2-Bilanz“, erläutert Ducreux. In Frankreich allerdings stößt ein Elektrofahrzeug im Verlauf seines gesamten Lebenszyklus drei- bis viermal weniger CO2 als ein Verbrenner aus, da der Strom hier hauptsächlich aus kohlenstofffreien Energiequellen (Kernkraft, Wasserkraft, Wind- und Solarenergie) stammt. In Ländern wie Deutschland, Polen, China oder Indien, in denen bei der Stromerzeugung vermehrt CO2-Emissionen freigesetzt werden, fällt die Bilanz dagegen weniger positiv aus.  Im Fahrbetrieb werden die bei der Herstellung erzeugten CO2-Emissionen von Elektrofahrzeugen jedoch weitgehend ausgeglichen.

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Die Schattenseite: Durch Abrieb erzeugter Feinstaub

„Elektrofahrzeuge haben den Vorteil, dass sie keine Abgaspartikel ausstoßen, was eine Verbesserung für die Luftqualität mit sich bringt“,
so Bertrand-Olivier Ducreux. Doch auch  Elektrofahrzeuge haben eine Schattenseite: Feine Reibungspartikel, die durch die Abnutzung von Bremsen und Reifen erzeugt werden und ihren Weg in die Atemwege der Fahrer und Straßenanwohner finden. „Bei Elektrofahrzeugen handelt es sich nach wie vor um Autos, die durch den Verschleiß ihrer Reifen und Bremsen feste Partikel in der Stadtluft freisetzen“, erläutert Ducreux. Allein die Abnutzung der Reifen ist nach Angaben der OECD für 27 bis 40 % der von den sparsamsten Elektrofahrzeugen ausgestoßenen PM10-Partikel verantwortlich.

Die Ursache? Das Gewicht der Elektrofahrzeuge veranlasst die Hersteller dazu, breitere Reifen als bei Hybridfahrzeugen zu verwenden. „Da Elektroautos schwerer sind als Verbrenner, nutzen sich die Reifen tendenziell schneller ab“, konstatiert Bertrand-Olivier Ducreux. Die Bremsstaub-Emissionen der Elektrofahrzeuge werden durch ihr Bremssystem teilweise eingedämmt, da es die mechanischen Bremsen weniger beansprucht. Jedoch werden diese regenerativen Bremsen durch Scheiben- und Trommelbremsen ergänzt. Dies hat zur Folge, dass 8 bis 11 % der nicht abgasbedingten Partikel von Elektrofahrzeugen auf die Bremsen zurückzuführen sind. Mehr als die Hälfte der vom Straßenverkehr in Europa verursachten Partikel entstammen heute nicht mehr den Abgasemissionen, sondern sind auf den Verschleiß von Reifen und Bremsen zurückzuführen. Dieses Phänomen wird sich mit dem zunehmenden Einsatz von Elektrofahrzeugen noch verstärken. „Endlich werden diese bislang unterschätzten Aspekte auch von öffentlicher Hand und insbesondere von der Europäischen Union berücksichtigt“, äußert sich Bertrand-Olivier Ducreux optimistisch.

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Luftverschmutzung: Elektrofahrzeuge allein reichen nicht aus

Allein in Europa sind 307.000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr auf Feinstaub zurückzuführen – die Zeit zum Handeln ist längst gekommen. Parallel zum Einsatz von Elektroautos müssen weitere Lösungen gefunden werden. Zunächst müssen die Autos wieder leichter und kleiner gestaltet werden. „Leichtere Fahrzeuge sind in jeder Hinsicht umweltfreundlicher: Sie verbrauchen weniger Energie, benötigen weniger Bremsleistung und schonen die Reifen“, so Ducreux. Ebenfalls erstrebenswert: Strengere Normen für die Zusammensetzung von Bremsen, Reifen und Straßenbelägen. Bertrand-Olivier Ducreux betont: „Aus regulatorischer Sicht müssen Reifen einer Evaluierung hinsichtlich ihrer Verschleißfestigkeit unterzogen werden“. Weitere Verbesserungen können durch eine Senkung der Geschwindigkeitsbegrenzungen erzielt werden – insbesondere durch die konsequente Umsetzung von Tempo-30-Zonen in Stadtgebieten. „Durch das Tempolimit werden die Bremseffekte und damit der Verschleiß sowie die Aufwirbelung dieser Partikel begrenzt“, betont Bertrand-Olivier Ducreux.

Ideal ist die Absaugung des Feinstaubs direkt an der Quelle, wie es das TAMIC®-System mit einer Reduzierung der Bremsstaub-Emissionen bis zu 85%. Es ist ein enormes Verbesserungspotenzial vorhanden, dem allerdings ein flächendeckender Bewusstseinswandel vorausgehen muss. „Es ist an der Zeit, dass die Verbraucher, die Markteilnehmer und die Regierungen die derzeitigen Gepflogenheiten hinterfragen und sich bewusst für eine Mobilität entscheiden, die unsere Umwelt und Gesellschaft weniger stark belastet“, fordert Bertrand-Olivier Ducreux. Denn: Wir sind die Zukunft.

Debatte
Elektrofahrzeuge: Entscheidung zwischen Sicherheit und Umweltverschmutzung?

Laut einer vom Versicherungsunternehmen AXA durchgeführten Studie verursachen Fahrer von Elektroautos etwa 50 % mehr Unfälle als Fahrer von Autos mit Verbrennungsmotor. Diese Zahl lässt sich primär durch die hohe dynamische Leistung der in den vergangenen Jahren in Europa meistverkauften Elektroautos erklären. Ausgehend von dieser Feststellung stellt sich die Frage: Sollten für Elektrofahrzeuge vier statt zwei Scheibenbremsen vorgeschrieben werden? Dies würde die Sicherheit der Passagiere erhöhen, aber auch zu weiteren Partikelemissionen führen.